10 Tage, insgesamt rund 600 Kilometer, fünf verschieden Flüsse: so lauteten die Eckdaten für unsere Orinoco-Expedition im März 2017. Auf unserer Strecke, die uns von Puerto Carreño bis zu den Mavecure-Bergen führte, liegen einige Highlights, die bereits Alexander von Humboldt zu Beginn des 19. Jahrhunderts fasziniert hatten: darunter die beiden Stromschnellen Raudal de Atures und Raudel de Maipures. Die erste ist weltweit als die längste und breitste Stromschnelle bekannt (13,5 Kilometer), und die zweite wurde einst vom deutschen Naturforscher wegen ihrer Schönheit als Achtes Weltwunder bezeichnet.
Zu Beginn unserer Reise hatten wir am Zusammenfluss von Río Orinoco und Río Meta Gelegenheit mehrere dutzend Flussdelfine zu beobachten, die ausgelassen neben unserem Boot spielten. Weiter im Süden bereisten wir dann zunächst den Río Tuparro, ehe wir anschliessend den Flüssen Río Atabapo, Río Guaviare und Río Inirida folgten. Mit jedem Kilometer, den wir zurücklegten, konnten wir beobachten, wie die typische Orinoco-Vegetation, die sich durch weite Steppen kennzeichnet, in dichte Amazonas-Vegetation überging.
Unterwegs hatten wir nicht nur Gelegenheit, Puerto Inirida kennenzulernen, die quirrlige und geschäftige Haupstadt der Guainia Provinz, sondern darüberhinaus besuchten wir auch den Nationalpark El Tuparro. Auf einer Fläche von 5480 km² leben dort u.a. mehr als 320 verschiedene Vogelarten, Flussdelfine, Brüll- und Kapuzineraffen, das Orinoco-Krokodil und zahlreiche verschiedene Schlangenarten.
In der Nähe von Casuarito, einem kleinen Dorf am Ufer des Orinoco Flusses gelegen, konnten wir ausserdem verschiedene Felsmalereien und Felsgravuren bewundern. Laut unserem indigenen Guide dürften die Darstellungen 10.000 bis 14.000 Jahre alt sein. Genaue, wissenschaftliche Untersuchungen jedoch fehlen bis heute.
Eine Bildergalerie unserer Expedition findet Ihr hier:
Die Mavecure-Berge (Cerros de Mavecure), rund 50 Kilometer im Süden von Puerto Inírida gelegen, gehören sicherlich zu den attraktivsten Reisezielen, die der Osten Kolumbiens anzubieten hat. Aus dem dichten Urwald, der sich endlos bis zum Horizont hinzieht, erheben sich geheimnisvoll die drei Tafelberge Pajarito, Mono und Mavicure. Mit 712 Metern ist der Cerro Pajarito der höchste Berg der Felsformation. Bis heute haben es lediglich zwei Expeditionen bis zum Gipfel geschafft: ein deutsches Kletter-Team, das im Jahr 1992 den umliegenden Urwald vom höchsten Punkt der unzugänglichen Region aus betrachten durfte, und eine argentinische Expedition, die den selben Erfolg erst vor kurzem im Februar 2015 feiern konnte. Einfacher zu besteigen ist der Cerro de Mavecure: ein durchschnittlich sportlicher Reisender schafft es, den Berg bis Mittags zu besteigen, vorausgesetzt er beginnt den Tag früh morgens mit den ersten Sonnenstrahlen.
Eine indigene Legende berichtet, dass der Cerro Pajarito seit Jahrhunderten von der hübschen Prinzessin Inírida bewohnt wird. Das Mädchen, in das sich einst alle jungen Männer der Region verliebten, nahm eines Tages ein aus Pflanzen zubereitetes Gebräu zu sich, das ihr ein Verehrer angeboten hatte. Das Getränk, so glaubte der jugendliche Bewunderer, habe eine heimliche Zauberkraft, die ihm die ewige Liebe des bildhübschen Mädchens garantieren würde. Bei der Zubereitug jedoch täuschte er sich – der Trank wurde zu stark und als Inírida, ohne die Wirkung zu kennen, davon getrunken hatte, verlor sie die Kontrolle. In einem Kraftakt, den ihr niemand zugetraut hätte, ran sie auf den Berg und verlor am Gipfel das Bewusstsein. Der unbedarfte Verehrer versuchte ihr zu folgen, musste jedoch feststellen, dass der Berg für Normalsterbliche nicht zu erklettern ist. Er zog sich traurig zurück. Als Inírida später erwachte, stellte sie fest, dass sie alleine und abgeschnitten vom Rest ihres Volkes war. Sie beschloss, den Berg fortan so zu bewohnen, als sei er ihr Schloss. Um sie zu erfreuen, widmen ihr die Angehörigen des indigenen Volkes Puinave bis heute hübsche und fröhliche Lieder, sobald sie in die Nähe des imposanten Berges kommen.
Eine Reise zu den Mavecure-Bergen startet in Puerto Inírida. Der rund 20.000 Einwohner zählende Ort liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zu Venezuela entfernt und ist zugleich die Hauptstadt der Provinz Guainía. Wer sich vor der Weiterreise noch mit Proviant eindecken möchte, der findet in der geschäftigen Kleinstadt ausreichend Gelegenheit. Rund drei Stunden dauert dann die anschliessende Fahrt über den Inírida Fluss bis nach El Remanso. Das indigene Dorf ist der Ausgangspunkt für eine Expedition zu den Mavecure-Bergen. Hier kann man, nachdem man die Bewohner des Dorfes um Erlaubnis gebeten hat, sein Camp an einem idyllischen Sandstrand aufbauen. Von den Stromschnellen aus, die zwischen den Bergen liegen, lassen sich übrigens besonders leicht die berühmten Flussdelfine beobachten, die den abgelegenen Fluss bewohnen.
Für den Aufstieg zum Cerro de Mavecure bieten sich wegen der klimatischen Bedingungen zwei Möglichkeiten an: entweder man nützt die Kühle der frühen Morgenstunden, oder aber man macht sich nachmittags zwischen drei und vier Uhr auf den Weg. Vor- und Nachteile beider Optionen sind offensichtlich: morgens vermeidet man die drückende Hitze, die für die Gegend charakteristisch ist – nachmittags jedoch, wenn das Tierleben in vollem Gange ist, hat man eher die Möglichkeit Flora und Fauna zu geniessen. Für den Nachmittags-Aufstieg spricht aber natürlich auch noch die reizvolle Chance, einen unvergesslichen Sonnenuntergang über einer der schönsten Gegenden Kolumbiens beobachten zu können. Ein Erlebnis, das einem sicher lange in Erinnerung bleiben wird!
Zum Abschluss der Reise empfiehlt es sich, eine Wanderung durch die weiten Ebenen zu unternehmen, die die drei Mavecure-Berge umgeben. Die Region stellt das natürliche Habitat zahlreicher endemischer Pflanzen- und Tierarten dar. Gerade in der Umgebung des Dorfes El Remanso trifft man mit Leichtigkeit die Inírida-Blume (Flor de Inírida), die nur in der kolumbianischen Provinz Guainía wächst. Die krautartige Pflanze, die einen rot-weissen Blütenkopf hat und die bis zu einer Höhe von fast einem Meter wächst, gehört zu den Wahrzeichen der Region und kann – zumindest wird ihr das nachgesagt – bis zu einem Jahr ohne Wasser auskommen. Je nach Laune der Prinzessin Inírida, so der Glaube der indigenen Bevölkerung, ändert die Blume die Intensität ihrer Farben: leuchtend, wenn die Prinzessin gut gelaunt ist – und matt, wenn sie traurig ist. Zwar steht die Blume unter Naturschutz, allerdings wird sie in Puerto Inírida neuerdings auch zu kommerziellen Zwecken gezüchtet. Seit Generationen verstehen es die Angehörigen der indigenen Völker aus der Pflanze einzigartige Stücke regionalen Kunsthandwerks herzustellen. Wer sich am Ende der Reise nach einem adäquaten Andenken umsieht, der ist sicherlich nicht schlecht beraten, danach in El Remanso zu suchen.