Rap zum Schutz der Meere

 Regelmässig im Juli beginnt entlang der kolumbianischen Pazifikküste ein Naturschauspiel, das seinesgleichen sucht: Mehr als zweitausend Jubarte- und Buckelwale reisen von den kalten arktischen Gewässern im Süden des Kontinents mehrere tausend Kilometer, um in den warmen Wassern rund um Buenaventura, Nuquí und Bahía Solano zu überwintern und dort ihre Jungtiere grosszuziehen. Damit Wale und andere Meerestiere auch künftig an den Küsten des südamerikanischen Landes geeignete und geschützte Gebiete vorfinden, hat der World Wildlife Fund For Nature (WWF) – eine der größten und erfahrensten Naturschutzorganisationen der Welt – erst vor wenigen Tagen eine Sensibilisierungskampagne initiiert, die ganz auf Kunst und Jugend setzt.

Andres Pulgaenter

Zusammen mit dem “Ministerium für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung – Ministerio de Ambiente y Desarrollo Sostenible” und der Nichtregierungsorganisation “Mano Amiga Arte Colectivo” haben die Naturschützer drei Videos mit jugendlichen Rappern produziert, die dazu beitragen sollen, die Bevölkerung an Kolumbiens Küsten für Umwelt- und Naturschutz-Themen zu sensibilisieren. “Unseren Nationalpark Utria müssen wir schützen, denn dort bringen die Walmütter ihre Jungen zur Welt. Fischernetze bedrohen sie, fangen sie ein und das wollen wir nicht”, singt zum Beispiel ein jugendlicher Naturschützer aus Nuquí in einem der Videos.

Obwohl es in kolumbianischen Meeresgewässern immerhin 32 geschützte Gebiete gibt, nimmt die Verschmutzung der Küsten stetig zu. Die Gründe sind leicht auszumachen: Abfälle und Abwässer, die ohne jede Vorsicht im Meer enden, Quecksilber, das beim – vielfach illegalen – Goldschürfen verwendet wird und über zahlreiche Flüsse ebenfalls ins Meer gelangt – die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Der bekannte kolumbianische Journalist Juan Gossaín beschrieb die Situation vergangenes Jahr in der Tageszeitung El Tiempo folgendermassen: “… wir sollten für uns den Weltrekord anmelden, das einzige Land zu sein, das es gleichzeitig schafft, zwei Ozeane zu zerstören” – Gossaín bezieht sich darauf, dass Kolumbien bedrohte Küsten sowohl am Pazifik, wie auch dem karibischen Meer hat.

Besonders besorgniserregend ist die Situation für Meeresschildkröten und Wale. Fast 90% der Abfälle, die in den Lebensräumen der beiden Tierarten enden, bestehen aus Plastikmüll, der den natürlichen Nahrungsmitteln teils verblüffend ähnelt. Den Verzehr jedoch bezahlen die Tiere in der Regel mit ihrem Leben. Dass das jetzt anders werden soll, dafür sollen die drei Videos sorgen, die der WWF vergangene Woche veröffentlicht hat. Insgesamt 80 Kinder und Jugendliche aus Nuquí, San Bernardo del Viento und der Karibikinsel San Andrés rappen darin gegen unverantwortliche Müllentsorgung, rücksichtslos ausgelegte Fischernetze und für mehr Verständnis in der Bevölkerung gegenüber bedrohten Tierarten. Andrés Ramirez Cujar, Umweltschützer und Filmemacher, der für die in Quibdó ansässige Produktionsfirma Pulga Enter Films arbeitet, führte bei den Videos Regie. Über seine Erfahrungen sprach er mit uns.

 

Colombia Viajes: Andrés, zusammen mit einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen aus Nuquí, San Bernardo del Viento und San Andrés Islas hast Du vor kurzem drei Videos für den WWF produziert, die die Bevölkerung an Kolumbiens Küsten sensibilisieren sollen in Hinblick auf Umweltprobleme. Worin bestehen diese Probleme ?

 Andrés Ramirez Cujar: In erster Linie bestehen die Probleme darin, dass der kolumbianische Staat in diesen Regionen kaum oder gar keine Präsenz hat. Bei den drei Gebieten, die Du erwähnst, handelt es sich um Paradiese im wahrsten Sinne des Wortes. Der Pazifik ist unbeschreiblich schön und zugleich bis heute ausgesprochen ursprünglich. Dazu kontrastiert sowohl die Schönheit unserer karibischen Küste, als auch die des Meeres der “sieben Farben” rund um San Andrés. Leider – und das ist sicher kein neues Problem – schätzt unsere Regierung diesen Reichtum nicht. Ich denke, wenn eine Gesellschaft gebildet ist und sich der Umweltprobleme bewusst ist, von denen sie umgeben ist, dann ist Fortschritt und Entwicklung nur eine Frage der Zeit. Wenn wir den Menschen allerdings keine Chance auf Ausbildung geben und sie davon abgesehen auch nicht darüber informieren, wie es um die geschützten Meeresgebiete entlang unserer Küsten in Wirklichkeit steht, wenn wir ihnen keine Idee darüber vermitteln, welche Schäden wir selbst der Umwelt zufügen, dann wird sich an bestehenden Missständen ganz sicher auch in Zukunft nichts ändern. Und genau darum geht es in den Videos: Zumindest die Kinder, die in den betroffenen Gebieten leben, darüber aufzuklären, wie sie ihre eigene Umwelt schützen können.

 

Du verwendest für Deine Arbeit Rap als Kunstform und versuchst damit ein Problem zu lösen, welches seinen Ursprung in mangelndem Umweltbewusstsein hat. Denkst Du, dass Kunst generell hilfreich sein kann, wenn es darum geht Alltagsprobleme zu lösen?

 Kunst ist stets ein Spiegelbild des Lebens und ich glaube, dass wir uns sehr leicht selbst damit identifizieren können. In Kolumbien haben wir – generell gesehen – eine ausgesprochen reiche und vielfältige Kunst, die in nahezu allen Lebensbereichen zum Ausdruck kommt. Zwar haben wir uns für unser Video-Projekt sehr weit von den traditionellen, ortstypischen Musikstilen der Regionen entfernt, in denen wir gedreht haben. Ihre Angst vor dem Mikro haben die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir zusammenarbeiten durften, trotzdem sehr schnell verloren. In San Bernardo del Viento – zum Beispiel – war Hip Hop oder Rap kaum bekannt. Der Spass, den die Kinder und Jugendlichen jedoch bei der Produktion hatten, hat uns sehr schnell dabei geholfen, sämtliche Barrieren zu überwinden. Wir haben dann aber auch versucht – und das hat uns die Arbeit sicherlich erleichtert – autochthone Musikelemente in unsere Songs einzubeziehen und Bilder zu verwenden, die möglichst repräsentativ sind für die Kultur, die Umgebung und die verschiedenen Lebensstile der drei Produktionsorte.

 

Du hattest Gelegenheit mit insgesamt 80 jungen Menschen verschiedener Landesteile zusammenzuarbeiten. Wie arbeitet es sich mit Kindern und Jugendlichen, wenn es um relativ komplexe Themen wie den Umweltschutz geht?

 Mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten ist nicht immer einfach – vor allen Dingen, wenn man einen sehr eng gesteckten Zeitplan hat und das Ergebnis trotzdem erstklassig sein soll. Erschwerend kam ausserdem hinzu, dass keiner unserer jugendlichen Gäste Erfahrung mit einer Video- oder Musikproduktion hatte. Für uns war es deshalb eine Herausforderung, die aber – Gott sei Dank – mit einem sehr positiven Egebnis endete. Besonders toll finde ich, dass sich unsere jugendlichen Künstler ehrliche Sorgen um das Befinden unserer Umwelt machen. Ihr Engagement konnte ich aus erster Hand erfahren, als ich sie beim Verfassen der Texte beobachten durfte. Und genauso sieht man ihnen auch beim Singen ein authentisches Interesse an Umweltthemen an. Sie selbst sind in den vergangenen Jahren Zeugen davon geworden, wie sich ihre Umgebung verändert hat. Gerade in San Andrés Islas gibt es momentan Probleme mit einer ständig wachsenden Bevölkerung und darüber machen sie sich grosse Sorgen. Unser Projekt basiert grundsätzlich darauf, dass die Kinder und Jugendlichen, die daran teilgenommen haben, ihre Erfahrungen an ihr Umfeld weitergeben – und das tun sie ohne jeden Zweifel. Es würde wahrscheinlich zu weit führen, würde ich hier alle meine positiven Eindrücke widergeben wollen. Daher nur soviel: Ich könnte mit dem Ergebnis unserer Arbeit kaum zufriedener sein!

 

Die Jugendlichen aus Nuquí widmen einen Teil ihres Liedes den Walen, die jährlich an die kolumbianische Pazifikküste kommen. Was schlagen sie konkret vor, um die Tiere zu schützen?

 Stimmt – im Lied bezeichnen sie den Nationalpark Ensenada de Utría als den grössten Geburtssaal der Welt, da die Walmütter jedes Jahr dorthin kommen, um ihre Jungtiere zu gebären. Die Tiere reisen mehrere tausend Kilometer vom anderen Ende des Kontinents, um an der kolumbianischen Pazifikküste ihre Jungen grosszuziehen. Alleine die Vorstellung daran hat für mich etwas Magisches, macht die Region um Nuquí zumindest in meinen Augen zu einem Ort, der weltweit seinesgleichen sucht. Die Kinder und Jugendlichen des kleinen Küstendorfs schützen bereits jetzt aktiv die Tiere, indem sie an unserem Projekt teilgenommen haben und dadurch öffentlich auf das Problem bedrohter Lebensräume der Wale aufmerksam machen.

 

Insgesamt waren es während Deiner Arbeit doch wahrscheinlich mehrere Wochen, die Du sowohl mit den jungen Künstlern, als auch mit der gesamten Bevölkerung von Nuquí, San Bernardo del Viento und San Andrés Islas verbringen konntest. Gerade in Hinblick auf die Umweltprobleme, unter denen diese drei Dörfer/Regionen leiden: Was ist Dir aus dieser Zeit ganz besonders in Erinnerung geblieben?

Am meisten ist mir der Widerspruch in Erinnerung geblieben, der zwischen dem Wohlstand der Touristen und den Nöten der Einheimischen besteht. Wenngleich die drei Regionen, in denen wir uns mit unserem Drehteam aufgehalten haben, ungeheuer reich an Kultur und Biodiversität sind, so gibt es doch kaum eine Entwicklung, die es den Einheimischen erlaubt, zu Wohlstand zu gelangen. In der Regel gehören touristische Einrichtungen wie Hotels oder Restaurants ausländischen Investoren, die sich nur wenig oder gar nicht um Umweltschutzbelange oder um die Traditionen und Bräuche der Einheimischen kümmern. Der Erhalt und der Schutz von empfindlichen Ökosystemen steht bei ausländischen Tourismusbetrieben sicher nicht an erster Stelle – zumindest ist das mein Eindruck.

 

Welche Erwartung stellst Du an Deine Arbeit und was haben Dich die Jugendlichen gelehrt, mit denen Du zusammenarbeiten durftest?

Ich denke, wir haben es geschafft drei Songs zu produzieren, die sowohl bei Alt, als auch bei Jung ins Ohr gehen und deren Refrains haften bleiben. Was mich die Jugendlichen davon abgesehen gelehrt haben, ist ohne jeden Zweifel, dass die junge Generation mehr als bereit ist, Herausforderungen anzunehmen und Verantwortung zu zeigen. Und das – so hoffe ich zumindest – wird auch irgendwann für den Rest unserer Bevölkerung gelten.

Interview und Text: Oliver Schmieg